Station 2.
Tausendjährige Eiche
Ort der großen Volksversammlung von 1848
Welche Rolle spielte die Eystruper Versammlung vom 1. Juni 1848?
Als sich die Revolution vom 3. März 1848 von der Residenzstadt Hannover über das gesamte Königreich ausgebreitet hatte, bildeten sich in den folgenden Tagen allerorts Volksvereine, die liberale, demokratische und sozialistische Verfassungskonzepte unter dem Aspekt der nationalen Einheit Deutschlands diskutierten. In zahlreichen Petitionen an das Gesamtministerium und die Ständeversammlung in Hannover forderten sie u. a. Pressefreiheit, Abschaffung des Zwei-Kammer-Systems, Volkssouveränität und ein freies und einiges Deutschland.
Schon am 20. März 1848 gründete sich der Hoyaer Volksverein im Flecken Hoya unter dem Vorsitz des dort ansässigen Rechtsanwalts Dr. Heinrich Albert Oppermann, der im Vorstand von dem Juristen Heiliger und den Kaufleuten Martin Bollmann und Eduard Elias unterstützt wurde. Obzwar man sich dort vorrangig mit lokalen Angelegenheiten befasste, versuchte der Verein aber auch, den Einwohnern von Hoya die Bedeutung des politischen Geschehens während der Märzrevolution in Deutschland rsp. im Königreich Hannover klar zu machen.
Sehr bald griffen Oppermann und der Vorstand eine Idee ihres Schriftführers Köllner auf, man sollte doch die „beginnende Völkerfreiheit“ mit einem „großartigen Volksfest“ an den Pfingsttagen 1848 begehen. Dazu lud man alle Volksvereine der näheren Umgebung zur Teilnahme ein.
Als die Vorstandsmitglieder des Verdener Volksvereins, Dr. Matthäi und Dr. Müller, darauf hin zu einer Besprechung nach Hoya kamen, erteilten sie dem dortigen Vorhaben eine Absage und forderten stattdessen die Einberufung einer großen Volksversammlung. Diese sollte im Wesentlichen, so der Verdener Volksverein, mittels einer Petition
• der in der hannoverschen Regierung vorherrschenden Auffassung widersprechen, die neue Verfassung in Frankfurt könne nur aus der „Übereinstimmung der Fürsten und der Völker“ entstehen und nicht nach dem Prinzip der Volkssouveränität durch alle Landeseinwohner beschlossen werden.
• sich ferner darüber beschweren, wie man in hannoverschen Regierungskreisen mit Petitionen umgehe, die neben der Auflösung dieser Gremien gleichzeitig die Wahl zu einer verfassungsgebenden Versammlung fordern.
Einer Volksversammlung mit den genannten Zielen stimmten die Hoyaer zu, wollten aber weiterhin ihre für Pfingsten geplante Feier durchführen und taten das dann auch.
Am 21. Mai 1848 unterzeichnete der Hoyaer Volksverein den gemeinsamen Aufruf zu einer großen Volksversammlung am Himmelfahrtstag, den 1. Juni 1848, in Eystrup gemeinsam mit den Verdenern. Nicht nur die Volksvereine aus der Nachbarschaft, sondern alle aus dem ganzen Land sollten eingeladen werden.
Mancher wird sich gefragt haben, warum gerade Eystrup, dort gab es ja gar keinen Volksverein. Oppermann begründete die Ortswahl damit, dass die Organisatoren „weit entfernt von ungesetzlichen Schritten“ seien. Deshalb treffe man sich an einem Ort „mit beschränktem Interimsgebäude und nur einigen Steuer- und Eisenbahnbediensteten, ansonsten gekennzeichnet durch Eichenholzung“, m. a. W. „mitten im Walde“. Hannover misstraute allerdings den Absichten der Veranstalter und hatte – wie sich Oppermann erinnert – eine Schwadron Husaren nach Eystrup kommandiert. Das Eingreifen dieser Truppe sei allerdings auf Intervention des Amtes Hoya verhindert worden. Deshalb konnten die Hoyaer Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer in schwarz-rot-gold geschmückten Wagen unbehindert und rechtzeitig das Versammlungsziel an der Eystruper Haltestelle erreichen.
Am 1. Juni 1848 begrüßte der Versammlungspräsident Dr. Matthäi aus Verden zusammen mit seinem Vizepräsidenten Dr. Oppermann nach eigener Schätzung ca. 2.000 Menschen, vorwiegend aus Verden, Rotenburg, Hoya, Bruchhausen-Vilsen, Asendorf und Nienburg, daneben aber auch Abgesandte zahlreicher Volksvereine aus Ostfriesland, dem Land Hadeln, Osnabrück, Lüneburg, Celle und Hannover. Aus den südlicheren Teilen des Königreichs war niemand gekommen.
Einleitend erinnerte Dr. Matthäi an die Repressalien in der Vergangenheit, unter denen besonders der Bauernstand im Königreich Hannover gelitten habe. Dann ließ er feierlich und mit musikalischer Begleitung den Choral „Nun danket alle Gott“ anstimmen und erläuterte schließlich die umfangreich vorbereitete Petition, die (so Oppermann) nach mehrmaligem Vorlesen von 400 bis 500 Personen unterschrieben worden sein soll.
Aber nicht nur die Politik stand im Fokus der Versammlung. Nach Oppermanns Beobachtung „wurde [auch] gegessen und getrunken, Musik gemacht, im traulichen Gespräch Meinungen ausgetauscht und verlief die ganze Versammlung mit großer Ordnung.“ Als positive Ergebnisse der Eystruper Volksversammlung hielt er fest, dass
• die an das Gesamtministerium und die Stände in Hannover gerichtete Petition verabschiedet worden sei,
• die Veranstaltung „Sinn, Verständnis und Liebe für das Ein-Kammer-System im Volke“ geweckt habe,
• eine Verbindung unter den Hannoverschen Volksvereinen entstanden sei und dass
• eine vorläufig beantragte Organisation der Volksvereine auf das ganze Land ausgedehnt werden solle.
Die Rekonstruktion des Geschehens erfolgte auf der Grundlage der nachfolgend genannten Werke von Heinrich Albert Oppermann:
1. Oppermann, Heinrich Albert:
Hannoversche Zustände seit dem 24. Februar 1848. Bremen: Heyse 1849. S. 123-127.
2. derselbe:
Zur Geschichte des Königreichs Hannover von 1832 bis 1860. 2. Band 1848-1860. Leipzig: Wigand 1862. S. 102-108.
Seine monarchistischen Gegner haben abweichende Schilderungen vorgelegt, z. B. in
1. Bodemeyer, Hildebrand:
Die Hannoverschen Verfassungskämpfe seit 1848.
Erster Abschnitt. Vom Ende März des Jahres 1848 bis zur Berufung des Ministeriums von Schele am 23. November 1851. Hannover: Carl Meyer 1861. S. 53-65.