Bis zum Einsetzen der Elektrifizierungen um 1913 wurden die meisten Produktionsmaschinen in Fabriken damals noch über Treibriemenanlagen (Transmissionen) angetrieben, die wiederum von Dampfmaschinen in Bewegung gesetzt wurden.
Beim Bau der neuen Senffabrik am Eystruper Bahnhof beschritt man jedoch gleich fortschrittlichere Wege.
Die vom Elektromotor angetriebenen Transmissionen des Mühlengebäudes
Während die beginnende Elektrifizierung, zunächst hauptsächlich für Straßenbeleuchtungen und...
Hoyaer Wochenblatt vom 16.04.1914
...später dann auch für Maschinen genutzt wurde, wurden in der 1916 in Betrieb genommenen neuen Senffabrik viele Produktionsmaschinen und die Transmission über Elektromotoren angetrieben.
Hauptantriebsmotor für die Transmissionen im Mühlengebäude
Von daher ist es nachvollziehbar, dass man bewusst auf die Aufstellung einer Dampfmaschine verzichtete und das Krafthaus nur mit einem kleinen Dampfkessel zur Erzeugung von Prozessdampf und Heizungswärme ausgestattet.
Das ursprüngliche Krafthaus ohne Dampfmaschine
Die Stromversorgung Eystrups und anderer Ort in den Landkreisen Hoya, Nienburg, Verden, Neustadt und Fallingbostel erfolgt durch das 1914 in Betrieb genommene und zur Staustufe Dörverden gehörende Laufwasserkraftwerk.
Dieses wurde in den Jahren 1911 bis 1913 erbaut, um das Hauptpumpwerk am Wasserstraßenkreuz Minden über eine eigene Hochspannungsleitung mit elektrischem Strom zu versorgen, damit das Wasser aus der Weser in den Mittellandkanal gepumpt werden kann.
Um vom Wasserstand der Weser unabhängig zu sein, wurde der Strom in Dörverden auch durch Dampfkraft erzeugt, bis 1927 die letzte Dampfturbine stillgelegt wurde.
Hoyaer Wochenblatt vom 23.11.1913
Da das Wasserkraftwerk Dörverden jedoch hauptsächlich zur Stromversorgung für das Hauptpumpwerk des Mittellandkanals in Minden gebaut wurde und nur mit dem überschüssigen Strom die Landkreise versorgt werden sollten, kam es über einen langen Zeitraum wiederholt zu Stromausfällen in den genannten Orten und somit auch zu Produktionsstillständen in der Eystruper Senffabrik.
Elektrizitätswerk Dörverden (Weserwehr)
Diese zahlreichen Stromausfälle und die nach dem Ende des 1. Weltkriegs einsetzende Inflation, die zu immer weiter steigenden Strompreisen führte, veranlassten den Besitzer der Senffabrik sich nach Alternativen zur Stromerzeugung umzuschauen.
Hoyaer Wochenblatt vom 28.11.1922
Neben der Anschaffung einer Dampfmaschine mit Schwungradgenerator standen auch Dieselmotoren mit entsprechenden Aggregaten zur Diskussion.
Man entschied sich letztendlich dann für die Anschaffung einer gebrauchten Dampfmaschine, wohl auch deshalb, weil bereits ein kohlebefeuerter Dampfkessel sowie ein ausreichend dimensionierter Schornstein vorhanden war.
Allerdings reichte die Leistung des vorhandenen Dampfkessels nicht mehr aus um zusätzlich noch eine Dampfmaschine anzutreiben.
Die größte noch betriebsfähige Stationärdampfmaschine Norddeutschlands.
1928 konnte dann ein ausreichend dimensionierter gebrauchter Dampfkessel gefunden werden.
Der Kessel stammt ursprünglich aus dem Bergwerk Rammelsberg/Harz.
Bauprüfung am 14.03.1928, Wasserdruckprobe mit 17 kg/cm² am 16.04.1928 nach Wiederaufstellung in Eystrup.
Ein Föge Rippenrohrvorwärmer wurde 1936 nachgerüstet.
Ab 1962 ersetzte die Unterschubfeuerung einen vorher betriebenen mechanischen Wurfbeschicker von J.A. Topf u. Söhne, Erfurt, Baujahr 1910, Nr. 578
Bauzeichnung für den Einbau des größeren Dampfkessels
Zum Aufbau der Dampfmaschine musste das vorhandene Krafthaus nach Süden um ca. 7,00 m verlängert und ganzflächig unterkellert werden.
Diese Arbeiten wurden vom hiesigen Bauunternehmen Heinrich Baumgarten ausgeführt.
Bauzeichnung für die Verlängerung des alten Karfthauses
Nach Abschluss der Bauarbeiten wurde die ebenfalls gebraucht gekaufte Dampfmaschine montiert und in Betrieb genommen.
Bei der Dampfmaschinen handelt es sich um eine liegende Wechselstrom-Tandem- Verbund-Maschine mit Bajonettrahmen und Achsenregler.
Hersteller:
K & Th. Möller GmbH, Maschinenfabrik, Kesselschmiede, Eisengießerei, Brackwede
Baujahr: 1911
Fabrik- Nr.: 1003
Steuerung: Ventil Regler Achsenregler
Zylinder-Durchmesser: Hochdruck 350 mm
Zylinder-Durchmesser: Niederdruck 600 mm
Kolbenhub: 630 mm (Schleppkolben)
Betriebsdruck: 12 atü
Die größte noch betriebsfähige Stationärdampfmaschine Norddeutschlands.
Umdrehungszahl: 150 U/min.
Schwungrad Ø: 2500 mm
Leistung: normal 200 PS, (160 KVA)
Die Dampfmaschine versorgte bis in die Mitte der 1970er Jahre das Unternehmen mit Strom. Dann wurde sie aus wirtschaftlichen Gründen stillgelegt.
Sie ist nach gründlicher Restaurierung weiterhin betriebsfähig und wird nur bei besonderen Dampfveranstaltungen oder gegen Gebühr und vorheriger Anmeldung im Dampfbetrieb vorgeführt.
Das Krafthaus der Senffabrik Leman in Eystrup verfügt somit über die größte noch betriebsfähige Stationärdampfmaschine
Norddeutschlands.
Typenschild auf dem Schwungradgenerator der Dampfmaschine